Einmal im Leben Eisbaden in der Ostsee

Ein winterlicher Besuch an einem ganz normalen Strand in Mecklenburg-Vorpommern

Autor*in: Mathias Christmann
Veröffentlicht: 28. August 2024

Eisbader gehen am Strand von Warnemünde in die Ostsee., © TMV/Gross

Autor*in: Mathias Christmann
Veröffentlicht: 28. August 2024

Oder doch gleich jeden Sonntag? Wenn sich die Luft im Frostbereich bewegt und das Wasser mit Müh und Not eisfrei halten kann, schlägt die Stunde der Warnemünder Eisbader*innen. Ein winterlicher Besuch an einem ganz normalen Strand in Mecklenburg-Vorpommern – und ein Rendezvous mit einer ganz besonderen Familie.

Der Wind pfeift, als das Thermometer in einen Bottich mit frischem Ostseewasser plumpst. Drei Grad. Plus. Während die ersten Spaziergänger*innen stehen bleiben und ein wenig irritiert ihre Blicke schweifen lassen, macht Silke klar: „Was denn? So richtig kalt wird es erst, wenn sich Eis gebildet hat.“ Dann dreht sie das Schloss des kleinen Blechverschlags unterhalb des Rettungsturms am Fuße des bekannten Hotel Neptun in Warnemünde um. „Wir waren mal in der Rostocker Warnow baden, als der Fluss zugefroren war. Das war kalt. Aber drei Grad? Das ist doch angenehm.“

Die Familie zieht sich zum Eisbaden im Winter am Rettungsturm von Warnemünde um., © TMV/Gross

Ein Rettungsturm als Umkleide

Was Silke meint, wird klar, als die Mittfünfzigerin gemeinsam mit ihrer Mutter Lindi, ihren Töchtern Saskia und Wencke sowie Enkelin Ashley die windgeschützte Behausung, die im Sommer als Rettungsschwimmerturm genutzt wird, kurzerhand als provisorische Umkleide umfunktioniert. Und als Jeans und Winterjacken gegen Wollbikinis, Bademäntel und signalfarbene Mützen getauscht werden. „Die haben wir damals zu häkeln angefangen, damit wir im Wasser besser zu sehen sind. Inzwischen ist unsere ganze Familie damit ausgestattet“, springt Silkes Mutter ihr keck zur Seite. Die ganze Familie – das sind inzwischen vier Generationen, die sich irgendwo zwischen elf und 80 Jahren einpendeln.

Eisbaden lernen mit den Rostocker Seehunden

„Eher zufällig haben wir damals bei einem Besuch von Warnemünde ein paar Eisbader gesehen und uns gedacht: Eigentlich ist das cool. Irgendwann machen wir da mal mit“, erzählt Silke. Als sie dann davon hörten, dass es mit den Rostocker Seehunden sogar einen Verein gibt, sei der Weg geebnet gewesen. „Die Seehunde haben es uns auch wirklich leicht gemacht. Gleich bei unserem ersten Kommen wurden wir so herzlich und mit einem heißen Trunk begrüßt – es war einfach schön.“ Ein Gefühl, das sich schnell in der Familie herumgesprochen haben muss, denn nur kurze Zeit später waren die Seehunde um gleich fünf leuchtend bunt bemützte Mitglieder reicher.

Der Wind peitscht weiter Sandwehen an den blechernen Rettungsturm, als Ashley im wolligen Badedress vor die Tür tritt. Nur ein Bademantel hält die gefühlten Minusgrade vom Körper der Elfjährigen ab. „Wir nennen sie auch Flitzi“, schmunzelt Silke, „weil sie genauso schnell ins Wasser flitzt, wie sie wieder draußen ist.“ Und tatsächlich – während Silke, Saskia und Lindi noch gut aufgelegt über den Strand schlendern, wartet Ashley bereits erwartungsfroh, wenngleich ein wenig fröstelnd an der Wasserlinie.

Eisbaden in Gesellschaft am Strand von Warnemünder im Winter., © TMV/Gross

Drei Minuten Spaß genügen

„Und los geht’s!“ Lindi gibt das Startsignal. Ohne Schlachtruf, dafür mit freudigem Geschrei stürmen die vier Generationen in die an diesem Morgen spiegelglatte Ostsee. Während die Zuschauer*innen ihre Handschuhe aus der Tasche und die Mütze tiefer ziehen, tauchen Silke, Saskia und Co. das erste Mal tief ein.

Nach drei Minuten ist das Vergnügen vorbei. „Man sollte nur so lange im Wasser bleiben, so hoch die Temperatur ist“, gibt Silke einem interessierten Zaungast mit auf den Weg, während sie sich ein Handtuch und einen Bademantel überwirft. „Dann steht dem Spaß nichts im Wege.“

Baden in der kalten Ostsee im Winter am Strand von Warnemünde-Rostock, © TMV/Gross

Jeder ist herzlich willkommen – ob Urlauber*in oder echtes Nordlicht, ob lang geplant oder spontan überlegt. Hauptsache man hat Lust auf ein kühles Bad in der Ostsee.
„Wir haben viele Urlauber, die sich schnell mal entscheiden, mitzumachen. Das sind dann die besonders Mutigen“, sagt Silke und empfiehlt, „unbedingt Neoprenschuhe anziehen, niemals alleine ins Wasser gehen und nur so lange im Wasser bleiben, so hoch die Temperatur ist.“

Eine Familie geht Eisbaden mit gehäkelter Badebekleidung am Strand von Warnemünde, © TMV/Gross

Wagemutige herzlich willkommen!

Eisbaden mit den Rostocker Seehunden ist zwischen September und April immer sonntags um 10 Uhr möglich. Treff: Am Rettungsturm unterhalb des Hotels Neptun in Rostock-Warnemünde

5 Gründe, warum Eisbaden in der Ostsee gut für den Körper ist

Dr. Hummel, Lungenspezialist und ehemaliger Chefarzt der Rehaklinik in Heiligendamm, in der Eisbaden über viele Jahre als Therapie eingesetzt wurde. Als leidenschaftlicher Eisbader ist der Arzt auch selbst regelmäßiger Begleiter der Rostocker Seehunde in Warnemünde.

  1. „Das Immunsystem wird gestärkt.“
    Wer ins kalte Wasser geht, erfährt zunächst eine Gefäßkontraktion der Haut, danach folgt eine Wärmewelle. Diese durchblutungs- und immunfördernde Reaktion wird unter anderem durch Wirkstoffe wie Adrenalin und Noradrenalin ausgelöst.
     
  2. „Der Körper härtet ab.“
    Im Winter ständig am Frieren? Eisbaden hilft. Regelmäßige Kältebäder gewöhnen den Organismus an kühlere Temperaturen und normalisieren die Temperaturregulation.
     
  3. „Ein Bad im kalten Wasser macht glücklich.“
    Das liegt an der erhöhten Freisetzung von Glückshormonen, den sogenannten Endorphinen. Damit kann Eisbaden in der Ostsee auch psychosomatische Beschwerden lindern.
     
  4. „Krankheitserreger werden bekämpft.“
    Insbesondere für Menschen mit Asthma-Problemen kann das Bad im winterlichen Meer wohltuend wirken. Ein spontaner Abfall von Stickstoffmonoxiden im Körper trägt zur Bekämpfung von krankmachenden Entzündungen bei.
     
  5. „Gelenke und Muskulatur werden positiv stimuliert.“
    Die Wirksamkeit von Kälte bei Gelenk- oder Muskelverletzungen ist weitläufig bekannt. Eisbäder sind die Krönung der Kältetherapie – sie können rheumatische Beschwerden erheblich und kurzfristig verringern.

Weitere Orte, an denen Eisbaden Tradition hat:

Ostseebad Boltenhagen

Gleich neben der Seebrücke von Boltenhagen stürzen sich jedes Jahr am ersten Januar hunderte mutige Eisbader in das etwa fünf Grad kalte Wasser. Mitmachen dringend erwünscht. Zugucken auch.

Ostseebad Prerow

„Einfach mal machen“, dachten sich wahrscheinlich die Darßer Strandpiraten, als der Tauchsportclub vor einigen Jahren das Eisbaden in der Region FischIand-Darß-Zingst wiederbelebte. Inzwischen sind es jährlich rund 500 Teilnehmer*innen, die am Neujahrstag am Prerower Nordstrand abtauchen – und das sogar bunt verhüllt.

Seeheilbad Heiligendamm

Hier wird Eisbaden auch zu Heilzwecken angeboten: Im ältesten deutschen Seebad hat der ehemalige Chefarzt der Median Klinik, Dr. Stefan Hummel, das kühle Bad in der Ostsee einst als wirksames Mittel gegen bronchiale Krankheiten herausstellen können. Noch heute gehen hier regelmäßig Eisbader*innen in die Fluten.

Ostseebad Binz

Wer nach Silvester lieber ausschläft und das Neujahrsanbaden an Mecklenburg-Vorpommerns Stränden verpasst hat, erhält einige Tage später im Ostseebad Binz eine zweite Chance. Beim Eisbaden-Light geht es meist im Februar nach dem kühlen Bad zum Aufwärmen in einen an den Strand gekarrten Saunakarren.

Seebad Lubmin

Im Seebad Lubmin lädt der Club der Seehunde seit 1975 zum gemeinsamen Eisbaden ein. Treff ist von Oktober bis April immer mittwochs und samstags 9.00 Uhr an der Seebrücke von Lubmin.

Mirow in der Mecklenburgischen Seenplatte

Schon seit 1982 steigen die Dickhäuter von Mirow jedes Jahr am 1. Januar um 14 Uhr in das kalte Wasser des Mirower Sees und werden von 300 bis 350 Zuschauern angefeuert und motiviert. Mitstreiter sind jederzeit willkommen.

 

Eisbadeveranstaltungen

in Mecklenburg-Vorpommern

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