„Du bist tot!“, ruft der Mann mit dem Irokesenzopf seinem Widersacher zu, einem gewaltigen Kerl in einem wallenden weißen Hemd. „Nee, nee!“, antwortet der, zieht seine Lanze zur Seite, ruckelt an seinem rund 20 Kilogramm schweren Kettenhemd und zeigt auf seinen Schild: „Du hast doch gar nicht richtig getroffen!“
Die Zuschauermenge, die sich in großer Zahl um den Kampfplatz der rund 50 Männer am Göhrener Strand versammelt hat, kann diesen launigen Wortwechsel gut hören und lacht laut auf.
Diese Wikinger hier, die gerade noch mit lautem Gebrüll, Schwertern, Lanzen, Pfeil und Bogen aufeinander losgegangen sind, scheinen es mit der Kampfmoral gar nicht so furchtbar ernst zu nehmen. In erster Linie ist es ja schließlich auch nur ein großer Spaß, was sich an diesem Wochenende im August 2022 in Göhren nun bereits zum fünften Mal abspielt.
Allerdings durchaus mit einem geschichtlichen Hintergrund. Den Männern, die sich hier in auffallenden Gewändern und individuell gestalteten Waffen in Mecklenburg-Vorpommern versammelt haben, ist eine authentische Darstellung der Wikingerzeit wichtig. So wie Jaromir und Norde, im wahren Leben Forstwirt Sascha und Verwaltungsfachangestellter Mario.
Hier in Göhren auf dem „Wikingerfest“ sind sie aber ein Slawe (Jaromir) und ein Wikinger (Norde). Der Unterschied ist für Laien kaum erkennbar, für Profis wie Michael Rietschel allerdings augenscheinlich: „Man kann die Slawen, deren Herkunft in der heutigen Ukraine gelegen haben dürfte, und die Wikinger, die aus Skandinavien stammten, gut an ihren Waffen und an den Symbolen auf ihrer Kleidung unterscheiden“, sagt er.
„Die Wikinger tragen beispielsweise einen Thorshammer, eine Art Miniaturhammer, der für Mut, Glück und Fruchtbarkeit steht. Die Slawen wiederum tragen die so genannte Axt von Perun, einen Anhänger in Form einer Streitaxt – um nur ein Beispiel zu nennen.“
Michael Rietschel ist in der einschlägigen Szene als „Der Germane“ bekannt und kennt sich auch deshalb so gut in der Materie aus, weil er seit 22 Jahren einen gleichnamigen Laden führt, erst in Berlin, seit 2016 in Göhren. Nicht zuletzt ihm ist es als Mitorganisator gemeinsam mit der Kurverwaltung zu verdanken, dass sich in Göhren seit 2018 an einem Wochenende im Jahr alles um die Zeit der Wikinger dreht.